Transformative Wirtschaftspolitik -  Lambert T. Koch,  Hans Frambach

Transformative Wirtschaftspolitik (eBook)

Die Nachhaltigkeitswende gestalten
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2024 | 1. Auflage
180 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-6189-4 (ISBN)
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Klimawandel, Pandemie und Krieg: Die Welt verändert sich rasant. Exogene Schocks zwingen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum Umdenken. Der Ruf nach transformativer Politik wird immer lauter. Lambert T. Koch und Hans A. Frambach stellen eine transformative Wirtschaftspolitik vor, die zentral für die Gestaltung der Nachhaltigkeitswende ist. Eindrucksvoll skizzieren sie Konzepte, Möglichkeiten und Grenzen. Auf die Interaktion von Gesellschaft, Kultur, Bildung, Innovation und Wirtschaft gehen sie explizit ein. Das Buch richtet sich an die Politikberatung, Wissenschaft und Forschung und ist zudem für Studierende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie der Politikwissenschaft eine spannende und zugleich aufschlussreiche Lektüre.

Prof. Dr. Dr. h.c. Lambert T. Koch hat einen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstuhl inne, war Rektor der Bergischen Universität Wuppertal und ist Präsident des Deutschen Hochschulverbands.

Zur Logik geschichtlichen Wandels


„History doesn’t repeat itself, but it does rhyme“, lautet ein Bonmot, das wohl irrtümlich Samuel Langhorne Clemens („Mark Twain“, 1835–1910) zugeschrieben wird. In der Politik erfolgt der Rückgriff auf Geschichte nicht selten vor allem dann, wenn eine Neuorientierung eingeleitet werden soll. Gerne wird in solchen Fällen postuliert, man müsse doch aus der Vergangenheit lernen, um so zu vermeiden, gleiche oder ähnliche Fehler erneut zu begehen. Im Zuge einer solchen Argumentation kann es in der Tat angebracht sein, auch im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um die Große Transformation im Vorfeld transformativer politischer Weichenstellungen die Geschichte zu bemühen.

Allerdings werden – hier und generell – erhebliche methodische Herausforderungen und Stolpersteine sichtbar. Dies beginnt schon bei der Auswahl der Beispiele oder Fallstudien. Worauf ist zu achten? Welche Restriktionen begleiteten tatsächlich oder vermeintlich ähnliche Situationen in der Vergangenheit? Ab welchem Grad der gesellschaftlichen Willensbildung und des politischen Eingreifens kann von Transformation im Sinne der hier gewählten Definition gesprochen werden? Denn danach wären etwa die bedeutenden historischen Umbrüche der neolithischen und später der industriellen Revolution, da nicht vorab im größeren Stil von Menschen geplant bzw. politisch betrieben, keine Transformationen im engeren Sinne gewesen.

Restriktionen als ermöglichende und limitierende Rahmenbedingungen des Agierens von Wirtschaftssubjekten (Hesse/Koch 1997, S. 507)

Im Zusammenhang mit solch retrospektiven Überlegungen erscheint es hilfreich, eine sozioökonomische Evolution als Ausfluss bestimmter Variablenkonstellationen zu betrachten, die in wechselseitiger Abhängigkeit das jeweilige Handeln von Wirtschaftssubjekten beeinflusst haben. Im Rahmen der evolutorischen Ökonomik wird hier auch von Restriktionen gesprochen, die – um das Sprachspiel der namensgebenden Evolutionsbiologie zu bemühen – „variierend und selektierend“ und damit richtungsgebend wirken. Dabei gibt es zum einen solche Selektionsfaktoren oder Restriktionen, die für die Dauer eines Veränderungs- bzw. Transformationsprozesses als (weitgehend) invariant betrachtet werden können. Wie → Abbildung 2 verdeutlichen möchte, bilden diese den äußeren Rand einer Restriktionshierarchie. Innerhalb dieser Hierarchie wirken dann zum anderen variablere – und aus politischer Sicht in dem betrachteten Zeitraum unterschiedlich beeinflussbare – Restriktionen.

Als invariant für politisch relevante Spielräume können vor allem Restriktionen der belebten und unbelebten Natur, also beispielsweise der biologischen Konstitution des Homo sapiens, oder bestimmte geographische Spezifika, wie Ressourcenausstattung oder Klima, angesehen werden. Mit Blick auf die beiden letztgenannten Beispiele zeigt sich aber zugleich, dass längerfristig auch diese, kurzfristig als invariant zu betrachtenden Restriktionen, anthropogenen Veränderungen unterliegen.

Die Anordnung von Restriktionen oder Selektionsfaktoren in dem hier vorgestellten Schema von invariant (limitierender Rand) zu variabel (Veränderungskorridor) folgt den Kriterien der Änderungskosten sowie des Zeitbedarfs gewünschter Veränderungen, wobei beides aus politischer Sicht eine prohibitive Höhe annehmen kann (siehe u. a. Koch/Grünhagen 2009). Historisch betrachtet, können in diesem Sinne auch soziokulturelle Restriktionen eine hohe Trägheit aufweisen und sich für politische Pläne als restringierend erweisen. Die im Kern politisch relevanten Selektionsfaktoren und damit Instrumente zur Bewirkung von Veränderung finden sich im Bereich der Ordnungs- und Regelsysteme, die menschliches Verhalten motivieren oder sanktionieren und damit entlang zeit- und kulturraumabhängiger Vorstellungen koordinieren bzw. „sozial kompatibel“ zu machen suchen. Über ihre Rolle und Wirkweise im Zusammenhang mit transformativer (Wirtschafts-)Politik wird im vorliegenden Werk noch zu sprechen sein.

Denkt man die hier vorgestellte Logik sozioökonomischer Evolution weiter, so wird schnell verständlich, dass keine Transformation voraussetzungslos startet, sondern einer spezifischen Pfadabhängigkeit unterliegt (zu diesem Konzept Arthur 1994). Allein diese Tatsache schränkt die Vergleichbarkeit kleinerer oder größerer Transformationen der Wirtschaftsgeschichte stark ein. Nicht nur die Frage, wie eine bestimmte Region oder Volkswirtschaft, die als Fall herangezogen wird, naturräumlich oder geostrategisch eingebettet ist und welche soziokulturellen Spezifika sie aufweist, ist entscheidend, sondern auch die hohe Interdependenz dieser und weiterer Selektionsfaktoren.

Ähnlichkeiten finden sich leichter in der Phase der Entstehung transformativer Vorhaben. Wie in der Einleitung erwähnt, sind dafür zumeist Unzufriedenheiten mit einer gegebenen Situation ausschlaggebend. Hierbei kann es sich um Ängste in der breiteren Bevölkerung handeln, zu denen häufig noch ein ausschlaggebendes Ereignis hinzukommt, das die politische Agenda erst aktiviert. Als Beispiel für ein solches Triggering-​Event kann, im Sinne eines exogenen Schocks, die Nuklearkatastrophe von Fukushima herhalten, die in Deutschland rückblickend als Auslöser für entscheidende Weichenstellungen im Rahmen der Energiewende und damit der Großen Transformation gilt. Diese Art von extrem unwahrscheinlichen, meist disruptiven Ereignissen wird in der Literatur auch als Black Swan bezeichnet (siehe hierzu die Erläuterung im nachfolgenden Kasten). Eine ähnlich starke, richtungsverändernde Wirkung lässt sich dem folgenschweren Einfall Russlands in der Ukraine im Jahr 2022 zuschreiben. Mit dem unter anderem aus deutscher Sicht weitgehenden Wegfall russischer fossiler Rohstoffe war man quasi von heute auf morgen gezwungen, die gesamte nationale und europäische Energiepolitik grundlegend zu hinterfragen und viele Weichen völlig neu zu stellen.

Konzept 1 | Von „schwarzen Schwänen“ als Triggering-​Events

 

„Und er kommt zu dem Ergebnis: Nur ein Traum war das Erlebnis.

Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“

 

Dieses Apophthegma aus Christian Morgensterns (1871–1914) Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ illustriert die Entstehung eines „Schwarzen Schwans“: Nicht vorhersehbare, bisweilen sogar als unmöglich erachtete Ereignisse treten plötzlich doch ein. Der Begriff wird, zumindest in dieser Bedeutung, vor allem mit dem Essayisten und Finanzmathematiker Nassim Nicholas Taleb in Verbindung gebracht. Neben der Unvorhersehbarkeit sind schwarze Schwäne selten und entfalten häufig eine komplexe und nachhaltige Wirkung. Gelegentlich ist außerdem das Phänomen einer Ex-​post-​Adaptation nach dem Muster, „das hätte man auch schon vorher wissen können“, zu beobachten. Historische Beispiele für schwarze Schwäne sind etwa die Entdeckung Amerikas, disruptive Erfindungen, große Börsencrashs, Terroranschläge oder Naturkatastrophen. Gerade bei negativ konnotierten schwarzen Schwänen entsteht mit hoher Geschwindigkeit das kollektive Gefühl, reagieren zu müssen. Politisch betrachtet, eröffnen sich somit plötzlich „Windows of Opportunity“, die vorher in dieser Form nicht denkbar gewesen wären. Dies spielt auch im Rahmen der hier interessierenden ökologischen Transformation eine Rolle, ist doch für die kommenden Jahre nicht auszuschließen, dass Umweltkatastrophen bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaßes auftreten.

Wenn nach derartigen Schocks, Katastrophen, größeren Fehlentwicklungen oder anderen disruptiven Vorkommnissen politische Transformationsentscheidungen fallen, liegt auf der Hand, dass zumeist damit, implizit oder explizit, Vorstellungen von einem Turnaround oder – etwas pathetischer formuliert – einer „besseren Welt“ verbunden werden: einer Welt, die weniger Risiken birgt, einen größeren Wohlstand ermöglicht bzw. allgemein die Zufriedenheit der Menschen befördert. Hierbei spielen vielfach wissenschaftliche Erkenntnisse eine Rolle, die Bildung unterschiedlichster Utopien oder historische Beispiele, die zu einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort – vermeintlich oder nachweislich – zu geeigneteren Ergebnissen im Sinne des Erstrebten geführt haben.

Sofern für eine weitgehende politische Umorientierung transformationsgeschichtliche Beispiele bedeutsam sind, ist aus wissenschaftlicher Perspektive zu beachten, dass die Deutung von Gewesenem und der Versuch des Transfers in eine andere Zeit und an einen anderen Ort stets subjektiven Momenten unterliegen....

Erscheint lt. Verlag 29.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Volkswirtschaftslehre
ISBN-10 3-8463-6189-5 / 3846361895
ISBN-13 978-3-8463-6189-4 / 9783846361894
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